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2009-11-19


Am 17. November demonstrierten über 80.000 SchülerInnen und Studierende in 60 deutschen Städten im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks. Am “International Student’s Day“ fanden die größten Demonstrationen in Berlin (12.000), München (10.000) und Wiesbaden (10.000) statt. Damit war der bundesweite Bildungsstreik kleiner als die der Streik im Juni, als über eine Viertelmillion Menschen auf die Straße gingen – aber das lag in erster Linie an einer kürzeren Mobilisierungszeit. Dafür wurden in den zwei Wochen vor dem Streik etwa 50 Universitäten besetzt. Zusätzlich wurden am Dienstag und Mittwoch auch die ersten zwei Schulen besetzt, in Düsseldorf und Berlin-Neukölln.

Die Proteste im Juni, bei denen auch Banken symbolisch besetzt wurden, haben Zehntausende Menschen zum ersten Mal in den Kampf für ihre Rechte hineingezogen. An den Unis fällt auf, dass unter den BesetzerInnen sehr viele “Erstis” sind, die noch letztes Jahr als SchülerInnen am Bildungsstreik teilnahmen. Dadurch gewannen sie scheinbar das Selbstvertrauen, mit dem sie sich gleich in ihren ersten Wochen an der Uni gegen die schlechten Bedingungen einsetzen konnten. Gerade die Lippenbekenntnisse der PolitikerInnen nach dem letzten Streik machte vielen SchülerInnen und Studierende klar, dass radikalere Aktionsformen wie Besetzungen und Blockaden notwendig sind, um unsere Forderungen durchzusetzen. Jetzt zeigen die PoltikerInnen noch viel mehr Verständnis für die Proteste, die sie noch vor einem Jahr als “gestrig” abtaten – dass zeigt, dass die Besetzungen, trotz der geringeren TeilnehmerInnenzahlen, viel größeren Druck erzeugen als nur Demonstrationen.

Doch nicht nur SchülerInnen und Studierende, sondern auch ArbeiterInnen nahmen an vielen Orten an den Demonstrationen teil. In Wiesbaden zum Beispiel wurde ein Streik der hessischen LehrerInnen mit dem Bildungsstreik zusammengelegt. In Berlin demonstrierten rund 70 Beschäftigte des Studentenwerks mit – sie hatten am Dienstag ihren ersten Warnstreik, um Lohnerhöhungen und ein Ende prekärer Arbeitsverhältnisse durchzusetzen. Mit auf der Demo waren auch ReinigerInnen, die vor zwei Wochen selbst im Streik waren und Unterstützung von Studierenden bekamen. Elke, die als Reinigungskraft arbeitet, meinte auf der Demo: “Viele Studierende haben sich für uns eingesetzt. Deswegen war es für mich klar, dass ich heute hier sein muss.”

An mehreren Universitäten wurden Studierende bereits gewaltsam von der Polizei geräumt – auch am Streiktag gab es in verschiedenen Städten Festnahmen. Doch insgesamt setzten die Herrschenden eher auf die Vereinnahmung der Proteste als auf Repression. Zum Beispiel forderte die Bildungsministerin Schavan ihre Kollegen auf Landesebene dazu auf, “Korrekturen” der Studienreformen schnell umzusetzen – als ob die Studierenden für die schnelle Umsetzung der Regierungspolitik protestieren würden. Doch ein Vertreter der Freien Universität sagte auf der Demonstration in Berlin: “Nur falls es Missverständnisse gibt, möchte ich an dieser Stelle für Frau Schavan klarstellen: Wir wollen nicht Ihre ‘Korrekturen’! Wir wollen ein Ende der neoliberalen Bildungspolitik!”

Denn der “Bologna-Prozess”, der vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde (angeblich um die europäischen Hochschulen zu vereinheitlichen), bedeutet für Studierende starre Lehrpläne und hohen Leistungsdruck. In Wirklichkeit ging es nie darum, einen innereuropäischen Austausch zu vereinfachen (was die sinkende Zahl der Auslandssemester belegt), sondern darum, Bildung billiger und marktorientierter zu machen. Die Forderungskataloge der BesetzerInnen, die meist in tagelangen Diskussionen mühsam ausgearbeitet wurden, beklagen die zu großen Lehrveranstaltungen, den zu hohen Leistungsdruck und die zu wenig demokratische Mitbestimmung.

Doch wenige Forderungen thematisieren die Rolle des Bildungssystems in der Gesellschaft. Denn die Studierenden, die trotz der Verschlechterungen der letzten Jahre eine verhältnismäßig privilegierte Minderheit in der Gesellschaft darstellen, protestieren meistens für bessere Bedingungen für sich selbst. Doch wenige setzen sich für jene Mehrheit ein, die aufgrund des besonders selektiven Bildungssystems in Deutschland kaum eine Möglichkeit auf ein Studium haben. Das wurde zum Beispiel auf der berlinweiten Pressekonferenz deutlich.

Auf der Pressekonferenz am Morgen vor der Demonstration sprachen 15 (!) VertreterInnen von allen Berliner Hochschulen (auch Katholische Hochschule, Beuth-Hochschule, Alice-Salomon-Hochschule, Uni Potsdam) sowie ver.di und IG BAU. Die Studierenden beklagten die “Verschulung” des Studiums, die wenige Auswahlmöglichkeiten und wenig Zeit für ein Sozialleben nebenbei beinhaltet. Erfreulich waren die Meldungen von der Beuth-Hochschule (ehemals TFH), die von einer neuen Bewegung an ihrer technischen Hochschule berichteten. “Wir waren letztes Jahr beim Bildungsstreik vielleicht 15, aber auf der Vollversammlung, die die Besetzung beschloss, waren schon 300”, meinte ihr Vertreter.

Doch nur einer dieser 15 erwähnte die soziale Selektion im deutschen Bildungssystem. Lars Dieckmann von der Industriegewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt (IG BAU) begrüßte den Bildungsstreik im Namen der GebäudereinigerInnen, die vor zwei Wochen selbst im Streik waren. GebäudereinigerInnen haben ein unmittelbares und ein mittelbares Interesse an den Bildungsprotesten, so Dieckmann: “ein unmittelbares Interesse, weil die Kürzungen an den Unis auch niedrigere Löhne für die Kollegen bedeuten; ein mittelbares Interesse, weil das deutsche Bildungssystem zu den selektivsten unter den Industrienationen gehört. Ich denke, dass auch Reiniger ein Recht haben sollten, ihre Kinder auf die Uni zu schicken”, meinte Dieckmann dazu.

Tatsächlich führt das dreigliedrige Schulsystem dazu, dass nicht mehr als 15% der Studierenden aus ArbeiterInnenfamilien kommen – de facto haben ArbeiterInnenkinder kein Recht auf ein Studium. In keinem der Industrieländer hängt der Bildungsgrad so stark von der sozialen Herkunft ab wie in Deutschland. Deswegen ist für die weitere Entwicklung der Bildungsproteste elementar, dass Studierende sich für die Rechte von anderen, weniger privilegierten Sektoren einsetzen – nur so wird es gelingen, eine wirkliche Einheit herzustellen, die über gegenseitige Solidaritätsbekundungen von Gewerkschaften und studentischen Vollversammlungen hinausgeht.

Denn die Besetzungen, so wichtig sie auch sind, werden alleine nicht ausreichen, um wirkliche Veränderungen durchzusetzen. Dafür brauchen wir eine Bewegung, die wirklich die Gesellschaft lahmlegen kann – wir brauchen einen Streik von allen Betroffenen der Kürzungspolitik. Das Fronttransparent in Berlin lautete: “Bildungsstreik, Mensastreik, Generalstreik!” Aber dieses Transparent war in der Demovorbereitung sehr umstritten. Bewusstsein über die notwendige Verbindungen mit Menschen außerhalb der Uni ist unter den Studierenden noch nicht sehr weit verbreitet. Aber wenn die Proteste Erfolg haben sollte – das zeigen alle erfolgreichen Bildungsproteste der letzten Jahre auf internationaler Ebene, z.B. in Frankreich und Chile –, müssen Studierende sowohl inhaltlich wie praktisch auf arbeitende Menschen zugehen.

von Wladek, Revo Berlin

Flyer der REVOLUTION-Unigruppe (Auszug)

Proteste der Studierenden allein sind nicht ausreichend, um wirkliche Änderungen am Bildungssystem durchzusetzen: erstens können Studierende wenig sozialen Druck aufbauen. Sie können beispielsweise kaum die Infrastruktur eines Landes lahmlegen, was bei Streiks von ArbeiterInnen sehr viel einfacher ist, wie z.B. beim LokführerInnenstreik Ende 2007 besonders deutlich wurde. Zweitens ist die Uni kein von der Gesamtgesellschaft unabhängiger Raum, sondern unterliegt der gleichen Logik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, wie die Debatte über Bildungsprivatisierung und Effizienzsteigerung an der Universität zeigt.

In der Universität werden die Strukturen der kapitalistischen Wirtschaft reproduziert: Bildung im Kapitalismus dient in erster Linie den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, und nur die wenigsten Studierenden werden später leitende Posten übernehmen – die überwiegende Mehrheit wird sich früher oder später in Lohnabhängigkeit begeben müssen, wenn sie es nicht jetzt schon in Nebenjobs tun. Mit den ArbeiterInnen eint uns also nicht nur, dass wir der gleichen kapitalistischen Zwängen unterliegen, sondern auch der Fakt, dass die meisten von uns später selbst ArbeiterInnen sein werden.

Aus diesem Grund müssen wir alles dafür tun, dass die oftmals separat laufenden Kämpfe von SchülerInnen, Studierenden und ArbeiterInnen zusammengeführt werden, denn nur gemeinsam können wir wirklich große Teile der Gesellschaft lahmlegen und unsere Forderungen tatsächlich durchsetzen. Damit können wir auch Perspektiven aufzeigen, die über den Kapitalismus hinaus gehen. Denn Forderungen, die nur Symptome bekämpfen, können die Situation nicht wesentlich verbessern. Stattdessen müssen wir die Ursachen der aktuellen Bildungs- und Wirtschaftskrisen angreifen, nämlich die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Durch Verhandlungen werden wir nichts erreichen, wir müssen auf die Stärke gemeinsamer Proteste setzen. Dafür müssen wir vom Bildungsstreik zum Generalstreik kommen!

Klar wird der Generalstreik nicht dadurch zustande kommen, dass eine studentische Versammlung in einem besetzten Hörsaal das beschließt. Doch wir können erste Schritte in diese Richtung machen, wenn wir unsere Forderungen nicht auf Studienbedingungen beschränken – denn eben nur eine Minderheit der Gesellschaft hat überhaupt die Möglichkeit zu studieren – sondern die Forderungen von anderen Sektoren aufnehmen. Das kann schon mit dem Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen an der eigenen Uni passieren. Ganz praktisch müssen wir auch auf Beschäftigte zugehen, um sie für gemeinsame Proteste zu gewinnen.

Durch solche Solidarität können wir aufzeigen, dass Studierende und ArbeiterInnen ähnliche, vom kapitalistischen System verursachte Probleme haben. Wir können aufzeigen, dass wir ein gemeinsames Interesse an der Überwindung dieses Systems durch eine demokratisch geplante Wirtschaftsordnung – in der Arbeit genauso wie Bildung nach den Bedürfnissen der Mehrheit ausgerichtet wird – haben. Aber dafür braucht es, was an den deutschen Universitäten dringend fehlt, eine revolutionäre Organisation, die die Proteste systematisch in diese Richtung treibt. Also lasst uns gemeinsam kämpfen und uns organisieren, um mehr als nur das Bildungssystem zu verändern!

Vom Bildungsstreik zum Generalstreik!



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