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2010-11-08


Kubas System passt zu Leo Trotzkis Analyse eines degenerierten ArbeiterInnenstaates: einer Gesellschaft, in der das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft worden ist (eine Voraussetzung für den Übergang zum Sozialismus), aber in der eine privilegierte Bürokratie alle politischen und wirtschaftlichen Institutionen kontrolliert und jegliche unabhängige Aktivität der Massen unterdrückt. Deswegen wird der Übergang zum Sozialismus – also das Absterben des Staates, weil die arbeitende Bevölkerung zunehmend alle Aufgaben der Verwaltung direkt übernimmt – blockiert. Und als Folge driftet das ganze System Richtung Kapitalismus zurück.

TrotzkistInnen in den 1980er Jahren definierten den degenerierten ArbeiterInnenstaat in Russland folgendermaßen: “Die Diktatur des Proletariats hat die paradoxe Form einer politischen Diktatur eines ‘bürgerlichen Staates ohne die Bourgeoisie’ über das Proletariat angenommen. Sie hat die Form der Herrschaft einer politisch konterrevolutionären bonapartistischen Staatsmaschinerie angenommen, die noch auf den postkapitalistischen sozialen Grundlagen basierte, die von der Oktoberrevolution etabliert worden sind. Diese Staatsmaschinerie war noch das Organ eines ArbeiterInnenstaates, weil es diese revolutionären Eigentumsverhältnisse verteidigte. Doch sie verteidigte sie auf ihrer eigene Art und in ihren eigenen Interessen, um ihre Kastenprivilegien gegenüber der ArbeiterInnenklasse aufrechtzuerhalten.”[17] Der kubanische ArbeiterInnenstaat basiert auf bürokratischer Herrschaft und war damit von Anfang an degeneriert.

Die kubanische Revolution erlebte noch nicht mal Diskussionen über ArbeiterInnendemokratie. In den frühen Tagen der Revolution gab es Debatten darüber, wie die Produktivität der ArbeiterInnen zu erhöhen sei. Das Regime verwendete eine Mischung aus materiellen Anreizen, “moralischen Anreizen” und Repression. Che Guevara trat bekanntlich für moralische Anreize ein (Aufrufe an die ArbeiterInnen, härter zu arbeiten, um die Sache des Sozialismus voranzutreiben) als Teil seiner Vorstellung von einem “neuen Menschen”. Doch bei dieser Debatte wurde die ArbeiterInnendemokratie als Mittel, um die Produktivität durch die Verringerung von bürokratischer Verschwendung und Misswirtschaft zu steigern, nicht erwähnt. Guevara reagierte sogar persönlich auf die Kritik am Bürokratismus durch die kubanische trotzkistische Organisation mit der Unterdrückung dieser Partei[18]!

Der russische Revolutionär Leo Trotzki dagegen erklärte den unverzichtbaren Charakter der ArbeiterInnendemokratie in einer Planwirtschaft: “Die Interessen der ProduzentInnen und die Bedürfnisse der KonsumentInnen (…) können ihren Ausdruck nur durch eine blühende Demokratie der ProduzentInnen und KonsumentInnen finden. Demokratie ist in diesem Fall nicht irgendein abstraktes Prinzip. Sie ist der einzige denkbare Mechanismus, um das sozialistische Wirtschaftssystem vorzubereiten und im Leben umzusetzen.”[19] Das heißt, mit der Forderung nach ArbeiterInnendemokratie für Kuba geht es nicht einfach darum, das politische System “freundlicher” zu gestalten, sondern im Wesentlichen darum, die Planwirtschaft funktionieren zu lassen.

Der Kapitalismus verwendet den Markt als einen sehr unpräzisen Mechanismus, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfassen (deswegen unpräzise, weil der Markt nicht die Bedürfnisse per se erfasst, sondern nur diejenigen Bedürfnisse, die auch bezahlt werden können). Doch in einer Planwirtschaft ist der einzige vergleichbare Mechanismus die demokratische Diskussion. Bürokratische Planung, die jegliche Diskussion und Kritik unterdrückt, ist zwangsläufig ineffektiv, weil die Bedürfnisse der Bevölkerung unbekannt bleiben – und das neben der Tatsache, dass die BürokratInnen ihre eigenen Statistiken fälschen!

Fußnoten:

17. Workers Power: Degenerate Revolution. P. 130.
18. “The clamp-down [on the Trotskyists ]had also been given the green light after Guevara sharply criticised the April 1961 edition of Voz Proletaria on national television. The particular article in question argued that the Technical Advisory Councils set up in the workplaces ostensibly to give the workers control over the production process in individual units had a bureaucratic character.” Gary Tennant: Dissident Cuban Communism. The Case of Trotskyism. Bradford 1999.
19. Leon Trotsky: “The Soviet Economy in Danger”. Eigene Hevorhebung.



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