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2010-09-04


In RIO werden alle Entscheidungen demokratisch getroffen. Wir versuchen, so lange zu diskutieren, bis wir uns einig sind – doch das ist natürlich nicht immer möglich. In diesem Fall wird die Position der Organisation durch eine Mehrheitsentscheidung festgelegt. Bei RIO – im Gegensatz zu vielen anderen revolutionären Organisationen – haben Minderheiten das Recht, ihre Argumente öffentlich zu machen, so lange sie sich bei ihrer politischen Arbeit an der beschlossenen Position halten. Bei der Frage des Verfassungsreferendums in der Türkei entschied sich die Mehrheit von RIO für ein kritisches “Ja”, während eine kleine Minderheit für einen Boykott argumentierte. Da diese Diskussion in der gesamten radikalen Linken der Türkei läuft, wollen wir auch die Position der Minderheit kurz darstellen.

Für einen Wahlboykott beim Verfassungsreferendum!

Die Frage des Verfassungsreferendums in der Türkei hat die trotzkistische und sonstige revolutionäre Linke tief gespalten.

  • Gruppen wie Marksist Tutum (“Marxistische Haltung”, ehemalige Sektion der IMT), die DSIP (Revolutionär-Sozialistische ArbeiterInnenpartei, ehemalige Sektion der IST) und Antikapitalist (Sektion der IST) rufen – ähnlich wie RIO – zu einem “kritischen Ja” auf.
  • Gruppen wie die ÖDP (Partei der Freiheit und Solidarität, linkssozialdemokratisch) – zusammen mit Gruppen wie der TKP (Türkische Kommunistische Partei, stalinistisch/linkskemalistisch) und der EMEP (Partei der Arbeit, hoxhaistisch) – rufen zu einem “linken Nein” auf.
  • Gruppen wie die SDH (Bewegung Permanente Revolution) und die DIP (Revolutionäre ArbeiterInnenpartei, CRFI-Sektion) – gemeinsam mit Gruppen wie der BDP (Partei des Friedens und der Demokratie, prokurdisch) und der MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei, linksstalinistisch) – rufen zum Wahlboykott auf.

Für alle drei Positionen gibt es linke Argumente. Für “Ja” z.B.: dass die ArbeiterInnenbewegung durch die Verfassungsreform einige kleine Verbesserungen bekommen würde, und dass wir gegenüber demokratischer Rechte nicht gleichgültig sein dürfen. Oder für “Nein”: dass das Referendum die erste freie Abstimmung über die Putschverfassung von 1982 ist, und dass wir diese Verfassung nicht legitimieren dürfen. Dann für “Boykott”: dass wir uns vom bürgerlichen “Ja”-Lager wie vom bürgerlichen “Nein”-Lager abgrenzen müssen, und dass wir ein Bündnis mit der kurdischen Bewegung in dieser Frage schmieden sollen.

Wir wollen die kleinen Verbesserungen in der Verfassungsreform nicht ignorieren. Doch wir denken, dass ein Sieg der AKP ihr den Rücken für weitere Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse stärken würde. Das Beispiel Argentinien zeigt, dass eine bürgerliche Regierung durch ein “Demokratisierungs”programm bedeutende Teile der Opposition lahmlegen und damit den Boden für soziale Angriffe bereiten kann.

Wir stimmen mit der RIO-Mehrheit darin überein, dass ein “kritisches Nein” sich leicht mit der “Nein”-Kampagne der kemalistischen CHP vermischen würde. Aber wir sind auch der Meinung, dass ein “kritisches Ja” sich ebenfalls nicht gut von der “Ja”-Kamapgne der konservativen AKP trennen lässt. Wir denken, dass nur einen Boykottkampagne unsere strategische Zielsetzung – komplette Unabhängigkeit der ArbeiterInnenbewegung von beiden Flügeln der Bourgeoisie – taktisch vermittelt.

Ein Wahlboykott macht natürlich nur dann Sinn, wenn es eine soziale Basis für eine Boykottkampagne gibt. Wir denken, dass diese Basis durchaus vorhanden ist: in den kurdischen Gebieten der Türkei werden Millionen KurdInnen dem Aufruf der BDP zum Boykott folgen. In der Westtürkei werden nicht nur KurdInnen sondern auch Linksradikale verschiedener Couleur den Urnengang boykottieren. Laut linken Websites mobilisierte die “Front der Unterdrückten und ArbeiterInnen zum Boykott” mehrere tausend Menschen in Istanbul in der Woche vor der Abstimmung.

Deswegen sind wir für die Unterstützung der Boykottkampagne. Leider konnten wir die Mehrheit von RIO nicht überzeugen. Doch an dieser Stelle können wir nochmal betonen, dass wir einen taktischen Unterschied haben, und dass alle in RIO bei der Analyse komplett übereinstimmen.

Wladek, für die Minderheit in RIO, 9. September 2010



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