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2009-04-22


Wird die neue Verfassung in Bolivien die Herrschaft des Imperialismus brechen und die Armut beenden?

In „Ein Quantum Trost“, dem neuen James-Bond-Film, versucht der Bösewicht, die bolivianische Regierung mit Hilfe eines ehemaligen Militärdiktators und der CIA zu stürzen. Sein Plan ist es, die ganzen Wasservorräte des Landes unter den Nagel zu reißen und teuer an die BolivianerInnen zurückzuverkaufen.

So eine Geschichte gab es tatsächlich in Bolivien: ein multinationaler Konzern wollte im Jahr 2000 das Wasser der Stadt Cochabamba privatisieren. Verhindert wurde dieser Plan jedoch nicht durch James Bond, sondern durch Massenproteste unter Führung des damaligen Gewerkschaftsführers Evo Morales.

„sozialste Verfassung“

Seit Anfang 2006 ist Morales der Präsident Boliviens – der erste Präsident indigender Abstammung in der Geschichte des Andenlandes. Schon bei der Amtsübernahme war sein zentrales Projekt die Verabschiedung einer neuen Verfassung. Dazu wurde ein Verfassungskonvent einberufen und abschliessend ein Referendum abgehalten. Seit dem 25. Januar hat Bolivien eine neue „Politische Verfassung des Staates“, die Privatisierungen der natürlichen Ressourcen wie Wasser – egal ob durch James-Bond-Bösewichte oder multinationale Konzerne – verbietet.

Gegen den Widerstand der rechten, rassistischen Opposition im Osten des Landes und auch der katholischen Kirche („Wählt für Gott! Wählt nein!“) gewann der Verfassungsentwurf über 60% Zustimmung. Morales lobte „die sozialste Verfassung der Welt“, denn sie garantiert Rechte wie Bildung und Gesundheitsversorgung. Wichtiger noch: sie erkennt die Rechte der indigenen Völker Boliviens (also die, die von den amerikanischen UreinwohnerInnen abstammen) an, die eine Mehrheit der Bevölkerung darstellen aber seit Jahrhunderten unterdrückt werden (vor 60 Jahren hatten sie nicht mal ein Stimmrecht!). Laut der neuen Verfassung dürfen die indigenen Völker ihre eigenen Sprachen verwenden, die nun mit Spanisch gleichberechtigt sind, und ihre eigene Gemeinschaften verwalten. Die Koka-Pflanze, die eine wichtige Rolle in der indigenen Kultur spielt, die aber die US-Regierung im „Krieg gegen die Drogen“ ausrotten will, wird unter besonderen Schutz gestellt.

Doch diese „sozialste Verfassung“ garantiert das Recht auf Privateigentum und damit auch das Recht auf Ausbeutung. Ein „Recht auf Arbeit“ nutzt einem bolivianischen Arbeiter, der im Zuge der Wirtschaftskrise seinen Lebensunterhalt verliert, natürlich wenig; die Verfassung drückte viele Kompromisse zwischen der Morales-Regierung und der KapitalistInnenklasse aus, die nur zu Lasten der ausgebeuteten ArbeiterInnen Boliviens gehen kann. Eben deswegen geben die SprecherInnen der rechten Opposition zu Protokoll, dass sie nicht mit der neuen Verfassung zufrieden sind, dennoch damit leben können.

Die Landfrage

In Bolivien, nach Haiti dem zweitärmsten Land in der westlichen Hemisphäre, leben viele Menschen von der Landwirtschaft. Wie in den meisten Ländern Lateinamerikas ist der Großgrundbesitz ein zentrales Problem – wenige reiche Familien besitzen jeweils mehrere hunderttausend Hektar. Eine einzelne Familie besitzt zum Beispiel eine Fläche, die so groß ist wie das Saarland!

Die Abschaffung des Großgrundbesitzes und die Verteilung des Landes an arme Bauern/Bäuerinnen wäre eine zentrale Aufgabe für jede „Neugründung des Landes“, für jede „Dekolonisierung“. Tatsächlich war im ersten Verfassungsentwurf eine Klausel, die eine Obergrenze für Landbesitz festlegte. Neben dem Referendum über die Verfassung gab es eine separate Abstimmung darüber, ob diese Obergrenze bei 5.000 oder 10.000 Hektar liegen sollte. Das Ergebnis – über 80% für die niedrigere Grenze! – brachte den Wunsch der Bevölkerung nach Landreform klar zum Ausdruck.

Doch nach gewalttätigen Protesten der rechten Opposition im September 2008 (die von der US-Botschaft unterstützt wurden und mit einem Massaker an über 30 armen Bauern/Bäuerinnen gipfelte), die zur Verteidigung ihrer Privilegien auf die Barrikaden ging, ließ sich die Regierung auf Kompromisse ein. So heißt es jetzt, dass die Obergrenze für Landbesitz nicht rückwirkend gilt. Das heißt, wer schon mehrere hunderttausend Hektar Land besitzt, darf sie auch behalten! Es ist ohnehin nicht schwer für eine reiche Familie, Landtitel unter verschiedenen Familienangehörigen zu verteilen, so dass sie unter der legalen Grenze bleibt und trotzdem riesige Landstreifen besitzen kann.

Für Andensozialismus!

Evo Morales wird in der Presse oft „Sozialist“ genannt. Doch sein Ziel bestand nie in der Einführung des Sozialismus in Bolivien; Das strategische Ziel der Morales-Regierung wird „Andenkapitalismus“ genannt – ein schwammiges Konzept von reguliertem Kapitalismus mit vielen Sozialprogrammen und besonderen Rechten für die indigene Bevölkerung. So unterstützenswert die demokratischen Reformen der letzten Jahre zur Bekämpfung der Diskriminierung und der Korruption sind, so wenig werden sie an der erdrückenden Armut der Massen ändern. Für einzelne Indigene – wie Morales selbst und viele FunktionärInnen seiner Partei – gibt es nun Aufstiegsmöglichkeiten, doch die überwiegende Mehrheit ist und bleibt arm.

Die sich vertiefende Wirtschaftskrise trifft Bolivien besonders hart. Die Industrie, die fast vollständig auf Exporte in die USA ausgerichtet ist, leidet unter sinkender Nachfrage, und die Gasförderung, die unter Morales verstaatlicht wurde, leidet unter niedrigen Preisen. Während die ArbeiterInnen Lohnkürzungen hinnehmen müssen oder gleich auf die Straße geworfen werden, predigt Morales den Zusammenhalt aller BolivianerInnen, ob arm oder reich. Streiks könnten einen solchen „Klassenfrieden“ ja nur stören…

Dabei verfügt die bolivianische ArbeiterInnenbewegung über eine militante, revolutionäre Tradition: im Jahr 1952 übernahm sie praktisch die Macht im Land, und im Jahr 1971 wieder. Im Jahr 2003 fand einen Aufstand statt, der eine neoliberale Regierung stürzte, und im Jahr 2005 wieder. Diese Erfahrungen geben einen Hinweis, wie es anders laufen könnte. Die militanten Gewerkschaften, z.B. der BergarbeiterInnen, könnten ein eigenes Programm mit eigenen Kampfformen gegen die Krise aufstellen. Denn ein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der auf Privateigentum basiert – das zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre in Venezuela, Ecuador, Paraguay und Bolivien – bietet keinen Ausweg für die armen Massen. Das kann nur der revolutionäre Sozialismus, der die KapitalistInnen enteignet und die Wirtschaft der direkten Kontrolle der ArbeiterInnenklasse unterstellt.

von Wladek, Revo Berlin



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